Unternehmensführung – Die Zukunft gedanklich vorweg nehmen
April 26, 2010 on 10:07 pm
Startup Kultur, Corporate Guy´s und Speed Management – ExecutiveSearchConsultants.de spricht mit Johann Scholten von der WSFB Beratergruppe Wiesbaden.
Viele Unternehmen müssen aktuell einen Kurswechsel vollziehen, weil sich ihr Umfeld radikal gewandelt hat. Das treffen der damit verbundenen strategischen Entscheidungen fällt vielen Managern schwer, weiß Johann Scholten von der WSFB Beratergruppe Wiesbaden. Denn hierbei müssen die Unternehmensführer sich auch auf ihre persönlichen Einschätzungen der künftigen Marktentwicklung stützen.
Herr Scholten, Sie behaupten, vielen Unternehmen sei noch nicht bewusst, wie radikal sich ihr wirtschafts- und marktpolitisches Umfeld in den vergangenen ein, zwei Jahren gewandelt hat.
Scholten: Ja. Und vielfach ist das Ausmaß der Veränderung für die Unternehmen auch noch gar nicht überschau- und absehbar, weil die Veränderungsprozesse noch in vollem Gang sind.
Was veranlasst Sie zu dieser Einschätzung?
Scholten: Die Tatsache, dass sich im Umfeld der Unternehmen vielfach ein Paradigmenwechsel vollzogen hat.
Können Sie das an einem Beispiel erläutern?
Scholten: Gewiss. Was wäre zum Beispiel vor zwei, drei Jahren passiert, wenn ein Wirtschaftsweiser prognostiziert hätte: ‚In einigen Monaten leihen sich die Banken wechselseitig kein Geld mehr.’? Er wäre verlacht worden. Und was wäre geschehen, wenn ein Politiker gefordert hätte: ‚Wir sollten den internationalen Finanzmarkt schärfer regulieren und erwägen, Banken teilweise zu verstaatlichen.’? Nicht nur seine Berufskollegen hätten verkündet: Auf solche Gedanken aus der marxistischen Mottenkiste kann nur ein ewig Gestriger kommen. Denn damals lautet das allgemeine Credo: Deregulierung. Und heute? Heute werden solche Regulierungsmaßnahmen diskutiert und praktiziert – weltweit.
Was zeigt das?
Scholten: Dass sich das Umfeld der Unternehmen radikal gewandelt hat. Deshalb sind heute viele Paradigmen und Maximen, aus denen die Betriebe in der Vergangenheit ihre strategischen Entscheidungen ableiteten, obsolet – und somit auch zahlreiche Folgeentscheidungen, die darauf abzielten, die Unternehmensziele zu erreichen.
Können Sie hierfür einige Beispiele nennen?
Scholten: Zum Beispiel die Antworten auf die Fragen: Mit wem und womit verdienen wir künftig unser Geld? Wie strukturieren wir unsere Produktion und unseren Vertrieb? Wie sichern wir unsere Liquidität? Die Antworten auf all diese Fragen stehen heute in vielen Unternehmen auf dem Prüfstand, denn ihnen wurde sozusagen der Boden unter den Füssen entzogen. Deshalb müssen viele Unternehmen ihre Grundsatzentscheidungen und daraus abgeleiteten Folgeentscheidungen überdenken. Denn klar ist: So weiter machen wie bisher können sie nicht. Unklar ist aber vielfach: Wie kann es weiter gehen?
Handelt es sich hierbei um eine historisch einmalige Situation?
Scholten: Ja und nein. Auch zuvor kamen die Unternehmen immer wieder an Punkte, an denen sie ihre Grundsatzentscheidungen überdenken mussten – zum Beispiel, nachdem sie jahrelang ihre Fertigung optimiert hatten. Dann stellten sie oft irgendwann fest: Die Möglichkeiten der bisherigen ‚Technik’ sind ausgereizt. Mit ihr lassen sich keine Quantensprünge mehr erzielen. Um diese zu erreichen, müssen wir ganz neue Wege beschreiten. Organisationsberater nennen einen solchen fundamentalen Wandel einen Musterwechsel, denn hierbei wird auch die bisherige Art, die Realität zu betrachten, hinterfragt, um zu ganz neuen Lösungsansätzen zu gelangen. Dass Unternehmen einen Musterwechsel vollziehen müssen, ist nicht neu. Was die aktuelle Situation aber einzigartig macht, ist: Ganze Branchen weltweit, wenn nicht gar alle Unternehmen stehen vor der Herausforderung, ihre tradierten Denk- und Handlungsmuster zumindest zu überprüfen. Des Weiteren: Der Paradigmenwechsel, der einen Musterwechsel erfordert, vollzog sich nicht schleichend über Jahre, sondern scheinbar über Nacht.
Ist diese Situation existenzbedrohend für Unternehmen?
Scholten: Sie kann existenzbedrohend werden, wenn sich die Verantwortlichen in den Unternehmen nicht fragen, was sich geändert hat und daraus die erforderlichen Schlüsse ziehen. Darin dass der Paradigmenwechsel branchenübergreifend aktuell so offensichtlich ist, liegt aber auch eine Chance für die Betriebe.
Inwiefern?
Scholten: Ein Musterwechsel setzt voraus, dass sich in einer Organisation zunächst das Gefühl verdichtet: ‚Wir nähern uns einer Grenze. Wenn wir an unseren bisherigen Denkmustern und Verfahrensweisen festhalten, scheitern wir auf lange Sicht.’ Ein solches gemeinsames Empfinden in einer Organisation zu schaffen, ist schwer – speziell dann, wenn die Organisation auf den ersten Blick noch gut dasteht. Dann erkennen viele Mitarbeiter die Notwendigkeit eines Musterwechsels noch nicht, selbst wenn erste Indikatoren schon auf eine Gefährdung hinweisen. Also müssen in einer solchen Situation in der Organisation zunächst die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass über die Frage ‚Sollten wir einen Musterwechsel vollziehen?’ überhaupt gesprochen werden kann. Ohne externe Unterstützung gelingt dies selten.
Und in der aktuellen Situation ist dies anders?
Scholten: Ja, denn aufgrund der dramatischen Ereignisse in den vergangenen ein, zwei Jahren wurde in den meisten Unternehmen fast allen Mitgliedern der Organisation bewusst, dass sich im Unternehmensumfeld ein radikaler Wandel beziehungsweise Paradigmenwechsel vollzieht. Entsprechend leicht kann den Beteiligten vermittelt werden: Wir müssen zumindest darüber nachdenken, inwieweit unsere bisherige Art, Probleme zu lösen und Herausforderungen zu meistern, noch den geänderten Rahmenbedingungen entspricht?
Und wenn sich bei diesem Reflektions- sowie Meinungsbildungsprozess zeigt, ein Musterwechsel wäre nötig. Was dann?
Scholten: Dann stellt sich die Frage: Wie sieht das neue Muster aus?
Kann diese Frage leicht beantwortet werden?
Scholten: Nein, denn bei einem Musterwechsel geht es stets darum, das Unternehmen zukunfts-fit zu machen. Die Zukunft ist aber noch nicht Gegenwart. Also kann die Frage, was nötig und sinnvoll ist , nicht allein anhand von Daten und Fakten beantwortet werden. Auch Einschätzungen und Annahmen spielen eine wichtige Rolle – zum Beispiel darüber: Wie entwickelt sich unser Markt? Welche Technologien sowie Lösungswege werden aufgrund der geänderten Paradigmen künftig boomen, welche nicht? Wie entwickelt sich der Kapitalmarkt? Wie reagieren unsere Mitbewerber auf die geänderten Rahmenbedingungen? All diese Fragen lassen sich aktuell nur bedingt beantworten. Entsprechend viele Unwägbarkeiten fließen in die vorläufigen Antworten ein.
Erschwert dies den Unternehmensführern das Entscheiden?
Scholten: Selbstverständlich. In einem so diffusen Umfeld die nötigen Weichenstellungen vorzunehmen, fällt auch gestandenen Managern schwer. Deshalb orientieren sie sich oft an anderen Unternehmen oder den Prognosen externer Berater. Mit der Folge, dass zuweilen fast alle Unternehmen dieselben Problemlösestrategien verfolgen – branchenübergreifend.
Was ist die Ursache hierfür?
Scholten: Eine Ursache ist gewiss, das den Unternehmen oft Alternativen hierzu fehlen. Zuweilen fehlt den Unternehmensführern aber auch der Mut, eigene Wege zu beschreiten. Das konnte man in den vergangenen Jahren wiederholt beobachten.
Haben Sie hierfür ein Beispiel?
Scholten: Ja. Bis vor zwei, drei Jahren verkündete zum Beispiel alle Welt, inklusive der Finanzanalysten und externen Berater, als das Erfolgsrezept für Unternehmen Besinnt Euch auf Eure Kernkompetenzen. Also setzten fast alle Unternehmensführer auf dieses Erfolgsrezept. Denn wer dem Mainstream folgt, erntet wenig Widerspruch. Außerdem lassen sich dann einfacher Koalitionen schmieden, als wenn man einen anderen Lösungsweg als die ‚Hammelherde’ präferiert. Dabei wäre dies oft nötig. Denn wenn fast alle Unternehmen weitgehend dieselbe Strategie verfolgen, steht von Beginn an fest: Einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil können sich hierdurch nur ein, zwei Unternehmen verschaffen. Also lautet eine Kernaufgabe, wenn es um einen Musterwechsel geht, sich zunächst Entscheidungs- und Handlungsalternativen zu erarbeiten.
Damit ein echtes Entscheiden überhaupt erst möglich ist?
Scholten: Richtig. Und sind die Alternativen auf dem Tisch, gilt es die Beste zu realisieren. In sozialen Systemen wie Unternehmen gestaltet sich dies oft schwer.
Warum?
Scholten: Bereits darüber, was die beste Lösung ist, gehen die Meinungen bei den Entscheidern in den Unternehmen oft weit auseinander. Deshalb können die für die Veränderung notwendigen strategischen Grundsatzentscheidungen häufig nicht im Konsens getroffen werden. Vielmehr müssen irgendwann ein, zwei Personen das Heft in die Hand nehmen und wie Ex-Kanzler Schröder sagen: ‚So machen wir das – Punkt, aus, basta.’
Und einige Zeit später heißt es dann in einer Presseerklärung: Vorstand x oder Bereichsleiter y verließ das Unternehmen wegen unüberbrückbarer Differenzen.
Scholten: Richtig. Dessen ungeachtet sollten jedoch die für einen Musterwechsel erforderlichen strategischen Grundsatzentscheidung zumindest im oberen Führungskreis soweit möglich im Konsens getroffen werden – damit sie auf einer soliden Basis stehen. Also gilt es im Vorfeld so viele Indizien wie möglich darüber zu sammeln, warum ein bestimmter Lösungsweg mit hoher Wahrscheinlichkeit der richtige ist. Denn wie soll die Notwendigkeit, einen Musterwechsel zu vollziehen und einen bestimmten Lösungsweg zu beschreiten, den Mitarbeitern und gegebenenfalls externen Partnern vermittelt werden, wenn hierüber noch nicht einmal in der Führungsmannschaft Einigkeit besteht?
Herr Scholten, danke für das Gespräch.
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